Meine wunderbare Reise vom Rettungswagen zum Schaf
Wenn Sie sich jetzt fragen, was denn bitteschön ein Rettungswagen und Schafe miteinander zu tun haben: Meine erste Ausbildung war die zur Rettungssanitäterin. Obwohl ich schon als Kind immer Landwirtin werden wollte. Warum ein Stadtkind (ich bin in Hannover geboren) und Tochter einer Lehrerin und eines Elektrotechnikers einen Hang zum Landleben verspürt? Keine Ahnung. Vielleicht hat mich die romantische Vorstellung eines puschelig weichen, wolligen Lebewesens erreicht, ohne dass ich es bemerkt hätte. Vielleicht war das der erste Impuls, aus dem dann im Laufe meines gemeinsamen Lebens mit den Schafen eine etwas pragmatischere, aber immer noch besondere Beziehung zu diesen Tieren geworden ist.
Aber ich greife vor. Warum lässt sich eine Landliebhaberin zur Rettungssanitäterin ausbilden? Weil ich damit die Wartezeit auf einen Studienplatz der Tiermedizin überbrücken wollte. Denn das war mein erster Berufswunsch, der mit Tieren zu tun hatte. Von diesem Weg bin ich etwas abgekommen: Party, Techno, Großstadtleben – das volle Programm, das ein jugendlicher Mensch vielleicht braucht, um auf seinen eigentlichen Weg zurückzufinden.
Und genau das gelang mir nach einigen (Party-) Jahren: Ich verließ die Großstadt, fand einen Hund und einen Bauernhof, auf dem ich den ersten Teil meiner Ausbildung zur Landwirtin absolvierte. Diesem Hof folgten noch zwei weitere, weil ich auf der Suche nach einem ökologischen und dem Tierwohl verpflichteten Ansatz war.
Nach Beendigung meiner Ausbildung ging ich zum Studieren nach Witzenhausen; folgerichtig sollten es die ökologischen Agrarwissenschaften sein. Weil mir das Drinnen-Sein nicht besonders gut bekommen ist, verlegte ich meine Studientätigkeit soweit als möglich nach draußen. Ein Vorlesungsskript kann man schließlich auch unter freiem Himmel lesen… An dieser Stelle ist vielleicht eine Entschuldigung an meine Professoren angebracht. 😉
Pipilotta, mein erstes Schaf
Ich marschierte also mit meinen Unterlagen durch die Witzenhäuser Wiesen und Wälder. Gesucht habe ich nichts. Eigentlich.
Trotzdem fand ich Pipilotta, mein erstes Schaf. Vielleicht fand Pipilotta aber auch mich…
Pipilotta war eines von zwei Lämmern des Mutterschafs Berta, die ich vertretungsweise betreut habe – neben ein paar Ziegen, Kaninchen, Gänsen und einem Hängebauchschwein. Die kleine Herde gehörte natürlich zu ein paar Kommillitonen, und ich bot meine Hilfe an.
Dann kam der Tag, an dem die Lämmer weggegeben werden sollten, damit sich Berta von den Strapazen der Milchproduktion erholen konnte. Ich hörte mich sagen, dass ich Pipilotta kaufen würde. Und so hatte ich mein erstes Schaf. Ohne Weide, aber mit einem schicken Halsband, das ich ihr spendierte. Weil Pipilotta ja nicht in ihrer ursprünglichen Umgebung bleiben konnte, musste sie zunächst in einer fremden Herde untergebracht werden; sehr zu ihrem Unwesen und mit viel Herzschmerz für mich.
Glücklicherweise hielt dieser Zustand nicht allzu lange an. Denn die Besitzer der bunten Schar wollten für einige Zeit nach Neuseeland und baten mich, während ihrer Abwesenheit für die Tiere zu sorgen. Ich sagte natürlich zu, holte als Erstes Pipilotta wieder zurück und freute mich darüber, dass sie ihre Mutter sofort wiederzuerkennen schien. Schafe haben nämlich gar kein so schlechtes Gedächtnis, wie wir Menschen glauben.
So ging mein erstes Jahr ins (nordhessische) Land: ich studierte, kümmerte mich um die Tiere und sah den Jahreszeiten zu.
An meinem ersten Weihnachten in Witzenhausen saß ich bei den Tieren, denen ich Zwieback und Äpfel als Geschenk gebracht hatte und wusste, dass genau so mein zukünftiges Leben aussehen sollte (und würde):
“Ich habe sehr lange im Stall gesessen in dieser Nacht. Habe Äpfel und Zwieback verteilt, habe den Tieren beim Fressen zugesehen. Ihrem dampfenden Atem, als sich später alle ins Stroh legten. So sollte es sein. Ein paar Tiere, die ich alle kennen würde. Die alle Namen hätten und die ich von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod begleiten würde. Keines von ihnen würde ich in fremde Hände verkaufen. Pipilotta lag neben mir. Sie strahlte eine so große Gelassenheit aus, eine Gelassenheit, das Leben so zu nehmen, wie es ist und das Beste daraus zu machen. Das hatte sie tief in sich. Und das half mir oft in den folgenden Jahren, wenn es mal nicht so einfach und rund lief, wie ich mir das in dieser Nacht vorgestellt hatte. Ich erinnerte mich dann an diesen Moment und machte weiter.” Schafe leben nur im Jetzt.
